Jannik Kroll
von Jannik Kroll
 
11.10.2023
 
9 Min.
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Herr Neuhaus, Sie beraten sehr erfolgreich Menschen, die den Weg in die Selbstständigkeit wählen. Interessant ist dabei, dass die Anzahl der Selbstständigen zuletzt sank. Woran liegt es?

Ja, das stimmt. Bis 2020 erreichte die Zahl ihren Höchstwert von 2,5 Millionen. Danach ging sie runter. Und wir wissen alle, was 2020 passiert ist - die Pandemie.

In Krisenzeiten sind Sicherheiten gefragt. Einige Kolleginnen und Kollegen sind in vermeintlich „sichere“ Jobs geflüchtet. Ebenso viele Arbeitgebende sind in finanzielle Schwierigkeiten geraten, nicht nur Selbstständige. Was man aber nicht vergessen darf: Es gibt auch genauso Chancen in so einer Situation!

Welche sind das?

In meinem persönlichen Fall hat sich die berufliche Situation extrem verändert. Ich darf offen sagen: sehr verbessert. Mir war es plötzlich möglich, Vollzeit remote zu arbeiten. Ein absoluter Gamechanger in der Branche.

Das sagen überraschend viele Menschen. Wie haben Sie abseits der Bequemlichkeit vom Homeoffice profitiert?

In erster Linie fiel bei mir der Arbeitsweg weg. Die gewonnene Zeit konnte ich für meine Kundschaft oder die eigene Fortbildung nutzen.

Außerdem war die Remote-Arbeit mein Einstieg in ein EU-Compliance-Set-up. Das erlaubt Freelancern das dauerhafte Arbeiten aus dem Ausland. Das Set-up können Selbstständige für legale Steueroptimierungen nutzen. Vor allem aber für den Gewinn neuer Lebensqualität.

Lebensqualität ist ein gutes Stichwort. Der bekannte Essayist Wolf Lotter kritisierte kürzlich die deutsche Politik für ihre Haltung zur Selbstständigkeit. Hat Deutschland beim Freelancing ein Kulturproblem?

Als Selbstständige*r in Deutschland ist man gesellschaftlich schon etwas geächtet. Wobei ich das eher mit Augenzwinkern sagen würde. Trotzdem stellen mir Menschen immer wieder die gleichen Fragen:

„Das funktioniert?”

„Selbst und ständig?“

„Hast du überhaupt ein Wochenende?“

Es gibt auch Aussagen im Sinne von: „Mach doch was Seriöses!“.

In Deutschland liebt man es, anderen zu erzählen, was sie zu tun haben.

Worauf führen Sie das zurück?

Ich sehe es mehr als ein Kulturproblem, dass sich auf traditionsbedingte Denkmuster, geringes Know-how und bürokratische Strukturen zurückführen lässt. In Deutschland werden oft traditionelle Berufswege in einer Festanstellung angestrebt. Sie werden als sichere und stabile Option angesehen. Die meisten glauben, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag der angenehmste Weg ist. Alle, die es wagen, einen eigenen Weg zu gehen, werden oft skeptisch beäugt und meist hinterfragt. In Deutschland liebt man es, anderen zu erzählen, was sie zu tun haben. Am Ende würde ich sogar einen Schritt weitergehen und sagen: Wir haben nicht nur ein kulturelles Problem, sondern eine Art Bildungslücke in Sachen Entrepreneurial Spirit.

Sie sprachen zu Beginn an, dass Sie europaweit reisen. Was machen andere Länder beim Freelancing besser?

Seit Beginn der Pandemie suche ich mir aus, von wo ich arbeiten möchte. Ich bin aber nicht fixiert auf spezielle Länder. Nach Absprache mit der Kundschaft kann ich grundsätzlich von überall aus arbeiten. Ich muss mich nur an die länderspezifischen Regeln halten. Dies entscheide ich oft nach meiner Stimmung, auf welches Land ich gerade Lust habe. So sind für mich persönlich die Lebensumstände in warmen Regionen meist angenehmer. Wenn ich Inspiration brauche, ziehe ich in eine Großstadt oder in die Berge. Das ist unter anderem die unternehmerische Freiheit, von der ich sprach.

Viele erfolgreiche Menschen, die noch fest arbeiten, wünschen sich das auch. Sie leben den beschriebenen Lebensstil eher in einem Sabbatical. Also nehmen finanzielle Einbußen für die Freiheit in Kauf. Wie haben Sie den Mut aufgebracht, den anderen Weg einzuschlagen?

Meine Motivation? Ich war damals ehrlicherweise mit meiner Job-Situation unzufrieden. Rückblickend muss ich sagen, dass es kein „Hin-zum-Freelancing“ war, sondern mehr ein „weg von” meinem Arbeitgeber.

Was war damals das Problem?

Ich wollte nicht länger Dinge akzeptieren, die ich nicht ändern kann. Es war Zeit, die Dinge zu ändern, die ich nicht akzeptieren kann. Klar, ich hätte einen anderen festen Job annehmen können. Aber ich dachte mir, was mein damaliger Arbeitgeber die Unternehmensberatung macht, kann ich mit Sicherheit auch. Dazu kam, dass ich schon immer einen starken Drang zum Unternehmertum und Reisen spürte.

Mittlerweile beraten Sie als Consultant nicht nur etablierte Unternehmen. Sie unterstützen auch jene, die Ihrem Weg nacheifern wollen. Wie kam es dazu?

Das Freelancer-Dasein steht für mich für Unabhängigkeit. Aber ich wollte relativ schnell noch mehr davon – die absolute Freiheit! Deshalb habe ich vor zwei Jahren FRLNCR+ gegründet, eine eigene Unternehmung. Ich bin unabhängig und genieße die Freiheit, von überall und zu jeder Zeit zu arbeiten. Wann immer ich möchte, wo immer ich möchte. Ich entscheide selbst, mit wem ich zusammenarbeiten möchte. Bei FRLNCR+ unterstütze ich andere Consultants beim Etablieren eines ortsunabhängigen Set-ups.

In der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, sich flexibel auf verschiedene Bereiche und Entwicklungen einzustellen.

Zusätzlich zu der Art und Weise, wie Sie arbeiten, gibt es noch eine Besonderheit. Wer sich Ihre Vita anschaut, wird denken: Der Typ ist auf jeden Fall flexibel. Ist das Narrativ out, dass man im Leben nur in einer Sache Expertin oder Experte sein kann?

Ich finde es teilweise überholt. In der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, sich flexibel auf verschiedene Bereiche und Entwicklungen einzustellen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Erfahrung und Spezialisierung nicht wichtig wären. Sie können eine solide Basis für den Einstieg ins Freelancing bieten. Ich persönlich finde, dass man als Generalist, also wenn man in vielen Themen etwas gut kann, unabhängiger und gegebenenfalls breiter aufgestellt ist. Denn was, wenn deine spezialisierten Themengebiete eines Tages wegfallen? Im Zeitalter von künstlicher Intelligenz eine berechtigte Frage, oder?

Bei dieser Antwort drängt sich eine Frage nach dem Mindset auf. Welche Einstellung wird in Zukunft besonders bedeutsam sein?

Wir werden uns teilweise immer wieder neu erfinden müssen. Anders als die Generationen vor uns werden wir höchstwahrscheinlich nicht 20 bis 30 Jahre lang denselben Job machen. Das würde nicht dem Zeitgeist entsprechen. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit!

Bei allen Vorteilen der thematischen Flexibilität: Wie wichtig ist Erfahrung in der Sache?

Erfahrung kann hilfreich sein, ist aber kein zwingendes Muss. Denn Erfahrungen sammeln ist ein nie aufhörender, dynamischer Prozess. Erfahrung entsteht individuell, ständig und in jedem Augenblick. Sie ist am Ende nichts anderes als die Summe unserer Erfolge und Misserfolge in einem bestimmten Gebiet. Und eben das, was wir daraus machen! Auch denke ich, dass man sich vieles selbst aneignen kann. Beispielsweise kann sich ein BWLer auch Programmieren beibringen, allerdings würde er wahrscheinlich bei der Bewerbung dem ITler skilltechnisch unterliegen. Das ist aber ein anderes Thema. Wie sagt man passenderweise: Man lernt am meisten während des Jobs.

Sehen das Auftraggebende genauso?

Ich würde das mit JA beantworten. Warum? In meiner Freelancer-Beratung, durfte ich schon Neueinsteigende und Quereinsteigende auf dem Weg zum erfolgreichen Freelance Consulting begleiten. Sie konnten sich gegen weitaus erfahrenere Mitbewerbende im Auswahlprozess durchsetzen. Denn am Ende brechen auch meist Endkunden die Entscheidung auf zwei Fragen runter:

Ist der oder die Bewerbende gegenüber dem Problem und dem Projekt committed?

Welchen Effekt auf das Team und welche Balance im Team hat der oder die Berwerbende? 

Viele wollen Führung, den Autopiloten von Montag bis Freitag. Und bitte unbesorgt leben am Wochenende.

Hat jeder Mensch das Zeug zur Selbstständigkeit?

Aus den meisten besonderen Fähigkeiten lässt sich eine selbstständige Berufung ableiten. Egal ob sportlich, künstlerisch oder eben im Business. Aber nicht alle Menschen haben die intrinsische Motivation oder Spaß daran, dieses auszuleben. Viele wollen Führung, den Autopiloten von Montag bis Freitag. Und bitte unbesorgt leben am Wochenende.

Ich muss sagen, ich arbeite bestimmt auch manchmal am Wochenende an meinem Business. Aber es macht mir Spaß und somit stört es mich auch nicht, wenn ich das im Freien an der Sonne am Sonntagvormittag tue.

Ist das generell etwas, was die Selbstständigkeit bringt?

Als Freelancer identifiziert man sich oft viel mehr mit dem, was man tut. Ich sag jetzt etwas Verrücktes: Ich mag Montage! Denn ich freue mich auf meine Arbeit, auf das Projekt und natürlich auch auf das, was ich dafür bekomme!

Fernab vom Know-how: Was sind die wichtigsten Charaktereigenschaften von Selbstständigen?

Die meisten erwarten jetzt sicher Phrasen. Durchhaltevermögen, Flexibilität, Selbstmotivation, Entscheidungsfreude und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Aber die wichtigsten Eigenschaften sind für mich andere: Reflexion und Nachahmung.

Warum?

Reflexion: Selbstständige müssen sich kontinuierlich reflektieren und ihre eigenen Handlungen kritisch hinterfragen. Zum Beispiel: Mache ich genug, um da zu sein, wo ich sein will? Wenn man das mit Ja beantworten kann, sehr gut! Nur durch Reflexion kann man Feedback annehmen, sich an neue Herausforderungen anpassen und letztlich das Geschäft verbessern.

Die Nachahmung von erfolgreichen Strategien und Praktiken anderer Unternehmender. Niemand muss heutzutage das Rad neu erfinden!

Sie begleiten als Coach und Mentor viele Menschen beim initialen Schritt in die Selbstständigkeit. Welche Fehler werden besonders oft gemacht?

Ich berate Freelancer schon einige Jahre. Dabei sehe ich immer wieder, dass vor allem Unsicherheiten und mangelndes Know-how die Hürden der angehenden Freelancer darstellen. Ich fördere alle Interessierten individuell. Dafür stelle ich meine umfangreichen Tools, mein Netzwerk und mein jahrelang gesammeltes Fachwissen gerne bereit. Was wichtig ist: Am Ende profitieren besonders Unternehmen von flexiblen und vor allem glücklichen selbstständigen Expertinnen und Experten. Denn die können mit freiem Kopf einen sehr guten Job machen.

Die fehlende Sicherheit im Vergleich zur Festanstellung schreckt viele ab. Wie machen Sie ihnen Mut?

Ja, aber auch definieren Menschen Sicherheit gerne unterschiedlich. Ich denke anders: Wenn du in einer Woche das verdienst, was du sonst in einem Monat verdienst, sollte das schon einmal eine gute Sicherheit vermitteln. Darüber hinaus stehen im DACH-Raum täglich circa 400 bis 500 Projekte zur Auswahl. Da sollte doch ein Kunde dabei sein! Dazu gibt es viele Methoden, mit denen man an sich arbeiten und das eigene Produkt – den eigenen Auftritt - besser machen kann. CV-Optimierung, Marketing, das Netzwerken – zum Beispiel auch auf LinkedIn.

Was ich auch empfehle, um sicherer aus der Festanstellung zu starten, ist offen mit dem Arbeitgeber zu kommunizieren. Also in Teilzeit gehen und einen Teil der eigenen Kapazität in das Freelancing stecken.

Warum sollten Arbeitgebende mitmachen?

Weil dieser Weg auch für sie angenehmer ist. Eine Kündigung können sie nicht so schnell kompensieren, besonders bei der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt. Das beschriebene Modell gewährt ihnen die notwendige Zeit für die Suche nach Ersatz.

Wer einen guten Job macht, sich Vertrauen erarbeitet, wird profitieren und immer weiterempfohlen.

Wie wichtig sind Partner wie KRONGAARD für junge Expertinnen und Experten?

Eine gute Beziehung ist entscheidend. Du bekommst Empfehlungen und die Recruiter kennen dich, deine Stärken, deine Arbeitsweise, dein Mindset. Sie verstehen aber auch vor allem die Endkundschaft, die die Dienstleistung möchte! Wer einen guten Job macht, sich Vertrauen erarbeitet, wird profitieren und immer weiterempfohlen. Mir persönlich ist es schon passiert, dass ich ohne Bewerbungsgespräch nur aufgrund von einer internen Empfehlung für ein Projekt gehired wurde. Somit ist die Leistung in den Referenzprojekten wichtiger als irgendwelche Formalitäten. Und worüber man sich bewusst sein muss: Aus Sicht von Recruitern wie KRONGAARD sind Projektgebende und Freelancer beide in der Rolle der Kundinnen und Kunden.

Zum Abschluss: Was sind die drei wichtigsten Learnings für angehende Selbstständige?

1. FIRST IMPRESSIONS LAST! Ja, Projekte sind temporär, können aber auch langfristig sein. Ich kenne Leute, die immer mal wieder für dieselben Unternehmen projektweise tätig sind. Sie erlangen regelmäßig ein starkes Honorar und kulturelle Akzeptanz. Das beste Zeichen dafür ist, wenn externe Beratende andere externe Beratende hiren dürfen. Ein absolutes Vertrauensvotum von Kundenseite!

2. FOKUS - Gib deine Verwaltungstätigkeiten ab und konzentriere dich auf dein Business. Willst du gutes Marketing, hire Social-Media-Manager für deinen Webauftritt oder lasse deine Steuererklärung von einer Steuerberatung machen.

3. Suche dir das richtige TEAM – Die Arbeit in einer ungeeigneten Umgebung bringt weder dem Kunden noch dem Freelancer Vorteile. Es ist wichtig, dies zu bemerken und dabei die Freiheit zu schätzen, die du als Freelancer hast. Es gibt genug Kunden und Projekte – und genauso ausreichend Alternativen aufseiten der Expertinnen und Experten. Umso wichtiger ist es, dass ein Recruiter wie KRONGAARD gleich dafür sorgt, dass es zwischen allen Parteien passt.

Neben seiner Rolle als etablierter Consultant verhilft Daniel Neuhaus auch anderen Selbstständigen zu einem ortsunabhängigen und einkommensorientierten Arbeitsalltag. War er früher selbst noch als Angestellter in einer Beratung tätig, realisiert er seine Projekte heute europaweit und gibt seine Erfahrungen in Coachings weiter. Damit mehr Menschen von der Freiheit des Freelancings profitieren.

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Daniel Neuhaus
Senior Consultant und Business Analyst

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