Jannik Kroll
von Jannik Kroll
 
13.05.2022
 
6 Min.

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Frau Stroh, das Thema Nachhaltigkeit ist wegweisend für die wirtschaftliche Zukunft. Wie oft kommen Unternehmen proaktiv auf Sie zu?

Immer häufiger. Viele Unternehmen erkennen den Handlungsbedarf und beschäftigen sich allmählich mit Nachhaltigkeit. Andere spüren bereits die realen Auswirkungen nicht-nachhaltiger Unternehmensführung. Die aktuellen Krisen stimulieren die Erkenntnis. Sie sind symptomatisch für die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen oder global vernetzten Lieferketten, die nicht mehr einwandfrei funktionieren.

Dazu kommen neue gesetzliche Anforderungen wie das LkSG, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es fordert, dass Unternehmen über die grundlegenden Menschenrechts- und Sozialstandards in ihrer gesamten Lieferkette informiert sind und auf die Einhaltung hinwirken. Das Gesetz gilt ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 schon ab 1.000 Beschäftigte. Dazu hat es einen Pull-Effekt auf kleinere Unternehmen: Als Zulieferer von Großunternehmen müssen sie ebenfalls die Informationen erheben und auf Verbesserungen hinwirken.

Noch hindern vermeintlich hohe Kosten große und kleine Unternehmen an redlichen Nachhaltigkeitsbemühungen. Weshalb der Gesetzgeber überhaupt eingreift. Wie machen Sie Unternehmen glaubhaft, dass Nachhaltigkeit mit Wirtschaftlichkeit vereinbar ist?

Wir zeigen die wirtschaftlichen Vorteile von ökologischen, ökonomischen und sozialen Maßnahmen auf – oder auch Nachteile von nonkonformem Verhalten. Nachhaltige Aktivitäten sind gesellschaftlich nicht mehr nur vorbildlich, sie prägen maßgeblich die Akzeptanz von Marken und Produkten. Schrittweise lösen nachhaltige Alternativen herkömmliche Produkte und Lösungen ab. Unternehmen haben jetzt die Chance, an diesem Markt teilzuhaben.

Dazu kommt die finanzielle Seite. Kann ein Unternehmen gemäß der EU-Taxonomie keine nachhaltige Tätigkeit vorweisen, erhält es künftig deutlich schlechtere Finanzierungskonditionen. Allein aus diesem Grund entscheiden sich Unternehmen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise.

Sind neu gegründete Firmen einfacher zu überzeugen?

30 % der Neugründungen denken und wirtschaften bereits heute nachhaltig. Das Impact Investing – das bewusste Investieren in nachhaltige Unternehmen – wird stetig relevanter. Die Gründenden und Investierenden berücksichtigen nachhaltige Aspekte allerdings nicht nur wegen der guten Tat. Sie prognostizieren für ihre wirtschaftliche Zukunft größere Gewinne.

Corporate Sustainability ist ein neues Thema. Warum sind die Unternehmen auf die Hilfe externer Expert*innen angewiesen?

Viele Standards und Corporate-Sustainability-Konzepte werden erst entwickelt. Wir implementieren und vernetzten neues Wissen aus wirtschaftlicher Praxis und Wissenschaft. Dieses Know-how ist in den meisten Unternehmen noch nicht vorhanden.

Zudem bringen wir einen frischen Blick von außen mit. Aus dieser Perspektive lassen sich die wesentlichen Nachhaltigkeitsprobleme leichter identifizieren. Interdisziplinäre Vernetzung und Kooperation mit anderen externen Expert*innen erhöhen die Erfolgschancen für umweltbewusste Strategien.

Sensibilisieren Organisationen ihre Mitarbeitende trotz externer Begleitung für den nachhaltigen Wandel und bereiten sie fachlich vor?

In großen Unternehmen hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren viel verändert. Auch die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung führte Mitarbeitende und Führungskräfte an diese Themen heran. Die Lufthansa hat beispielsweise einen eigenen Vorstandsbereich für Corporate Sustainability etabliert.

Im Mittelstand ist dieses Bewusstsein weniger auffällig. Doch auch dort diskutieren die Menschen über nachhaltige Alternativen. Ähnlich wie bei der Digitalisierung entwickelt sich Nachhaltigkeit im Betrieb sukzessive. Den Mut zu Veränderungen sehe ich immer mehr.

Wie erhalten Sie einen ersten Status zur aktuellen Nachhaltigkeit und den potenziellen Möglichkeiten im Unternehmen?

Wir arbeiten meist mit einer Wesentlichkeitsanalyse. Sie ist als Standard für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung in dem Leitfaden der GRI (Global Reporting Initiative) verankert. Fast alle nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen nutzen dieses Prinzip. Es zeigt die wesentlichen Hebel für Nachhaltigkeit – die Reduktion des eigenen Fußabdrucks und das Schaffen eines positiven Handabdrucks – im Unternehmen auf.

Welchen Zeitraum beanspruchen Beratung und Strategie, bevor konkrete Maßnahmen beginnen?

Die Entwicklungszeit richtet sich nach der Größe und Komplexität des Unternehmens und auch nach der gewünschten Herangehensweise. Einzelne Projekte können wir rascher realisieren als ganzheitliche Nachhaltigkeitskonzepte.

Die erste Wesentlichkeitsanalyse kann “hemdsärmelig” in wenigen Workshops mit den relevanten Stakeholdern erfolgen. Aufwendiger ist die Analyse von Prozessen sowie die Einbindung von Kund*innen und weiteren externen Beteiligten.

Dazu kommt, wie bewusst sich die Mitarbeitenden bereits über den Fuß- und Handabdruck, den sogenannten Impact ihres Handelns sind. Als Maßstab ziehen wir die “17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals)” heran.

Welches sind die größten Hürden dieses Wandels?

Am häufigsten bremst die Unternehmenskultur den Prozess, denn sie braucht ein gemeinsames Mindset über alle Bereiche und Beschäftigten hinweg. Eine von Mitarbeiter*innen gewollte, aber von der Führung nicht unterstützte Nachhaltigkeit funktioniert nicht. Eine von der Führung verordnete, aber von den Mitarbeiter*innen nicht verinnerlichte Nachhaltigkeit ebenso wenig.

Unsere Arbeit erfordert, dass Unternehmen, Management und Belegschaft bereit sind für Veränderungen. Nachhaltige Unternehmensführung verlangt von allen ein Umparken im Kopf.

Es gibt viele Ansatzpunkte für Nachhaltigkeit – wie Energieversorgung, Lieferketten und Produktion. Mit welchem Bereich sollte ein Unternehmen beginnen?

Jede Branche und jedes Unternehmen entwickelt eigene Schwerpunkte. Wir betrachten daher zuerst die wesentlichen Handlungsfelder. Wo kann ein Unternehmen den ökologischen Fußabdruck reduzieren, wo einen Impact schaffen? Beides muss dabei dem wirtschaftlichen Druck standhalten.

Die am häufigsten genannten Herausforderungen sind Klimaneutralität (Netto-Null bis 2045), transparente Lieferketten, Anpassung an den Klimawandel (Risikoreduktion), Übergang in eine Kreislaufwirtschaft (Product life cycle), Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und aktuell die künftige Energieversorgung.

Sie beziehen sich auf den Ukraine-Konflikt?

Bislang war die Energieversorgung maximal eine Frage der Effizienz. Die Abhängigkeit von fossilen Energien schien sekundär, der Kohleausstieg Jahrzehnte entfernt. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs stehen Alternativen für Öl und Gas bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda.

Die Energiekrise ist dramatisch, für viele existenziell. Doch sollten Nationen und Unternehmen jetzt konsequent auf nachhaltige Energien setzen und nicht ausschließlich nach neuen fossilen Quellen suchen.

Wie lange arbeiten Sie mit Mandant*innen zusammen, bevor sie ihren Weg zu nachhaltigem Wirtschaften “allein” weitergehen können?

Der Umfang unserer Begleitung hängt wesentlich von der Unternehmenskultur ab. Sind die Mitarbeitenden aller Ebenen von dem nachhaltigen Konzept des Unternehmens überzeugt, verfolgen sie die Ziele autark weiter.

Zum Abschluss: Angenommen, Sie sind Mitarbeiterin in einem Unternehmen. Sie verantworten den Bereich Nachhaltigkeit. Die Führungskräfte sind noch skeptisch. Mit welchen drei Kniffen wollen Sie für einen Kurswechsel werben?

1. Ich präsentiere nachhaltige Maßnahmen, die unsere unternehmerischen Potenziale nutzen und wirtschaftliche Vorteile bringen.
2. Ich zeige mit einer Wesentlichkeitsanalyse die Anforderungen unserer Stakeholder auf.
3. Ich prognostiziere die rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken von nicht-nachhaltigem Handeln.

 

Ulrike Stroh berät Unternehmen auf dem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften. Sie arbeitete als Projekt Managerin und Luftverkehrsexpertin bei der Lufthansa sowie als Social Entrepreneurin. Heute arbeitet sie als Chief Sustainability Officer für die SE+P CONSULTING München, Frankfurt, Hamburg. Ulrike Stroh lebt in Dreieich bei Frankfurt.

Corporate Sustainability: Wie Unternehmen erfolgreich nachhaltig sind
Ulrike Stroh
Chief Sustainability Officer bei SE+P Consulting

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