Frau Brindöpke, das bankaufsichtliche Meldewesen – das klingt nicht unbedingt nach einem populären Thema. Würden Sie kurz erläutern, worum es dabei geht?
Banken – oder allgemeiner Finanzdienstleister – müssen in regelmäßigem Turnus Daten an Aufsichtsbehörden übermitteln. Beispielsweise an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Bundesbank oder die Europäische Zentralbank (EZB). Das können einerseits statistische Daten zu Bilanzen, Zahlungsverkehr oder Informationen zu Einzelkrediten sein. Andererseits aber auch Formulare, sogenannte Templates, in denen einzelne Datenpunkte nach verschiedenen Merkmalen aggregiert dargestellt sind.
Warum hat dieser Prozess für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft eine extrem hohe Bedeutung?
Das Meldewesen dient zur Überwachung des Finanzsystems. Anhand der gemeldeten Daten lassen sich systematische Risiken ermitteln, die potenziell negative Auswirkungen auf die Finanzsysteme und damit die wirtschaftliche Stabilität haben. Finanz- und Wirtschaftskrisen wirken sich direkt auf die Gesellschaft aus: Firmen gehen pleite, Menschen werden arbeitslos, Sozialsysteme müssen in Anspruch genommen werden.
Es existieren mittlerweile sehr viele Templates von verschiedenen Aufsichtsbehörden in diversen Formaten. Wie konnte es zu dieser riesigen Datenmasse kommen?
Im Zuge der Finanzkrise 2007 haben die Aufsichten gravierende Mängel festgestellt. Deswegen führten sie im Nachgang wesentlich mehr Meldeanforderungen und Templates ein. Jede Aufsichtsbehörde hat ihren eigenen Informationsbedarf, den sie erfüllen möchte.
"Es gibt kein einheitliches Datenmodell, geschweige denn einheitliche Datendefinitionen."
Inzwischen werden Banken zu mehr als 400.000 Datenpunkten abgefragt. Was sind das für Punkte und was macht sie zum Problem?
Mit Datenpunkt ist eine spezifische Zahl in einem mehrdimensionalen Template gemeint. Diese Zahlen werden nach verschiedensten Dimensionen aufgestellt. Zum Beispiel nach Ländern oder Kundengruppen. Das Problem: Es gibt kein einheitliches Datenmodell, geschweige denn einheitliche Datendefinitionen. Die Informationen werden demnach nicht konsolidiert abgefragt, sondern je nach Bedarf der jeweiligen Aufsichtsbehörde.
Und nun herrscht Chaos.
Das würde ich nicht sagen. Aber die Vielzahl der Meldeanforderungen seitens der Behörden, die Informationen teils redundant abfragen, sind für Banken ein immenser Kostenfaktor. Und ein Ende ist durch den wachsenden Informationsbedarf nicht in Sicht.
Wie behalten die Banken – und sie als Expertin – den Überblick?
Auch ich habe keinen Gesamtüberblick über alle Meldeanforderungen. Was aber hilft: nah an den Aufsichtsbehörden sein. Zum Beispiel durch Teilnahme in Gremien, Abonnieren von Behörden-Newslettern oder das Engagement in Arbeitsgruppen. Neue Meldeanforderungen werden in der Regel weit vor Inkrafttreten publik und diskutiert.
"Anfang 2023 wird zum Beispiel die Wohnimmobilienstatistik erhoben, mit der unter anderem Überbewertungen und Preisblasen erkannt werden sollen."
Durch aktuelle Entwicklungen steigt die Anzahl der Datenpunkte. Die EZB untersuchte beispielsweise mittels Stresstest, wie sich der Klimawandel auf Finanzunternehmen auswirken könnte. Mehr als 100 bedeutende Banken haben Daten übermittelt. Das Ergebnis zeigt: Klimarisiken werden unterschätzt und nicht ausreichend in interne Kreditrisikomodelle einbezogen. Zu welchen Geschehnissen werden Banken noch abgefragt?
Grundsätzlich müssen Finanzdienstleister Meldungen quartalsweise, monatlich oder sogar täglich übermitteln. Hinzu kommen Ad-hoc-Anfragen oder die angesprochenen ergebnisbasierten Meldungen wie der Klimastresstest oder das Covid19-Reporting der europäischen Bankenaufsicht. Dabei überprüfte die Behörde, wie viele Kredite im Zuge der Pandemie gestundet werden mussten, weil Firmen oder Kund*innen die Darlehen nicht mehr bedienen konnten. Anfang 2023 wird zum Beispiel die Wohnimmobilienstatistik erhoben, mit der unter anderem Überbewertungen und Preisblasen erkannt werden sollen.