Herr Doppelreiter, Sie arbeiten erfolgreich als selbständiger Unternehmensberater und sind Spezialist für Lieferketten. Ab kommendem Jahr gilt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Was verbirgt sich hinter dem Namen?
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz LkSG, entstammt dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte. Dieser fixiert die UN-Leitprinzipien zu diesen Themen in Deutschland. Das LkSG gibt den Empfehlungen nun einen rechtlichen Rahmen. Es verpflichtet Unternehmen zu menschenrechtskonformem und nachhaltigem Handeln innerhalb ihrer Lieferketten.
Betrifft das Gesetz alle wirtschaftlichen Organisationen?
Die Bestimmungen gelten zunächst für Firmen ab 3.000 Mitarbeitende. Von Januar 2024 an sind auch Betriebe mit 1.000 und mehr Beschäftigten betroffen.
Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?
Für die meisten Unternehmen sind die im LkSG beschriebenen Sorgfaltspflichten schon lange selbstverständlich. Andere Organisationen werden sie herausfordern. Nicht, dass diese bisher gegen Menschenrechte verstoßen hätten. Sie haben sich über diese Werte nur wenig Gedanken gemacht.
Rechtliche Vorschriften sind dann erfolgreich, wenn Institutionen deren Einhaltung kontrollieren.
Die Umsetzung des Gesetzes obliegt dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Betroffene Unternehmen müssen ihre Maßnahmen dokumentieren und der Behörde nachweisen. Ihren Bericht erwartet die BAFA spätestens vier Monate nach Ende eines Geschäftsjahres.
Welche Punkte dieser Gesetzgebung halten Sie für die wichtigsten?
Die Kernaussage ist für mich die Beschreibung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im Paragraph 2 LkSG. Im zweiten Absatz listet dieser Widrigkeiten wie Kinder- und Zwangsarbeit, Niedriglohn und Arbeitsbedingungen auf. Im dritten behandelt er beispielsweise Gewässer- und Luftverunreinigung, schädliche Lärmemission und übermäßigen Wasserverbrauch. In europäischen Ländern gehört die Lösung solcher Probleme längst zum Tagesgeschäft. In Entwicklungsländern oder Staaten mit anderen Kulturen und Religionen ist das anders.
Inwieweit beeinflusst das LkSG Ihre bisherigen Beratungsstrategien?
Meine Arbeit zielt noch mehr auf LkSG-relevante Themen ab, bei denen die Transparenz fehlt. Beispielsweise nachhaltige Prozesse. Sie müssen auf Daten und Fakten basieren, sonst kämen sie einem Greenwashing nahe. Zudem sind Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen gefragt. Unternehmen dürfen durch das LkSG nicht den Eindruck gewinnen, dass sie bisher etwas falsch gemacht haben.
Sie sind Impulsgeber für Führungskräfte und Unternehmen. Welches bald verpflichtende Handeln haben Sie Ihren Klient*innen bereits vor der Gesetzgebung nahegelegt?
Unternehmerisches Handeln ist und bleibt das Prinzip des maximalen Ertrags bei minimalem Aufwand. Doch schon immer habe ich in meinen Konzepten menschenrechtliche und umweltbezogene Aspekte hoch priorisiert. Dazu gehört eine offene Kommunikation im Unternehmen und mit allen Stakeholdern. Außerdem empfehle ich eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit. Nur wer sich einem Thema proaktiv annimmt, ist seinen Wettbewerbern voraus. Das LkSG ist eine weitere Leitplanke.
Die Missstände, auf denen das LkSG beruht, sind nicht neu. Kommt Deutschland mit der gesetzlichen Festschreibung dieser Ziele zu spät?
Nein, insbesondere die menschenrechtlichen Risiken vermeidet die deutsche Wirtschaft auch ohne ein Gesetz. Dieses macht nun den Unterschied, dass auch in anderen Bereichen noch weniger geredet und mehr gehandelt wird. Und dieses Handeln belegt werden muss.
Sie sprechen das Thema ökologische Nachhaltigkeit an.
Nachhaltiges Wirtschaften hängt sehr von der Branche ab. Jede arbeitet mit unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen, doch eine Strategie wird übergeordnet wichtiger: Circular economy, die Kreislaufwirtschaft. Die noch nicht annähernd ausgeschöpfte Wiederverwertung von Rohstoffen zahlt erheblich auf die Vorgaben des LkSG ein.
Den Nationalen Aktionsplan erfüllten im Jahr 2020 nur 13 bis 17 % der befragten Unternehmen. Was kann das Lieferkettengesetz ändern?
Dazu habe ich mich mit meinem Kollegen Carl Schmidt-Ehemann, SE+P CONSULTING, kurzgeschlossen. Er schrieb mir dazu:
“Der Nationale Aktionsplan etablierte keine gesetzlichen Pflichten für Unternehmen. Die Bundesregierung untermauerte ihre Erwartungshaltung lediglich mit einer klaren Zielvorgabe. Diese faktisch freiwillige Selbstverpflichtung brachte nicht den angedachten und notwendigen Erfolg. Daher wurde das LkSG verabschiedet. Es sieht neben strikten Geltungsvorgaben auch entsprechende Sanktionsinstrumente vor. Die regelmäßige Überprüfung und Anpassungsmöglichkeiten der gesetzlichen Normen entspricht der sich entwickelnden politischen Gesamtsituation.”
Trotzdem begründet das Gesetz keine “Erfolgspflicht oder Garantiehaftung”. Wie ist diese Klausel zu verstehen?
Bindend ist das Bemühen um die Einhaltung des Gesetzes, nicht der Erfolg. Die deutschen Unternehmen müssen nachweislich in ihren Lieferketten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken vorbeugen, sie minimieren oder die Verletzung beenden. Mehr ist kaum möglich. Keine nationale Gesetzgebung kann internationale Beteiligte zu etwas zwingen.