Jannik Kroll
von Jannik Kroll
 
28.06.2023
 
8 Min.
KRONGAARD-content-hub-Mark T.Hofmann

Psychopathie in der Wirtschaft? Vor wenigen Wochen war das ein Thema bei einem KRONGAARD Netzwerk Event. Bei diesem sprach Mark T. Hofmann über spannende Aspekte seiner Arbeit – und wie Unternehmen davon profitieren. Was KRONGAARD mit diesen Beiträgen erreichen möchte? Möglichst viele Menschen am Wissen von absoluten Top-Expertinnen und -Experten teilhaben lassen.

Herr Hofmann, es gibt die Legende, dass Psychopathen in der Wirtschaft besonders erfolgreich sind. Was ist Ihre Meinung als Profiler?

In der Gesamtbevölkerung liegt der Psychopathie-Anteil bei circa einem Prozent. Im Top-Management gehen aktuelle Studien von einer Quote von drei bis sechs Prozent aus. Man kann also sagen, dass manche Facetten der Psychopathie den Aufstieg begünstigen können.

„Gewissenlose sind meist kurzfristig erfolgreich, aber selten langfristig.“

Was sind das für Facetten?

Ich meine grundsätzlich einen Mangel an Empathie, Gefühlen, Gewissen und eine ausgeprägte Manipulationsneigung. All diese Faktoren unterstützen den Aufstieg einer Person, das aber immer auf Kosten anderer. Was jedoch wichtig ist: Gewissenlose sind meist kurzfristig erfolgreich, aber selten langfristig. Fälle wie die Weltfinanzkrise, CumEx oder Wirecard zeigen, dass Skrupellosigkeit nur auf kurze Sicht wie eine Erfolgsgeschichte aussieht. Am Ende nimmt sie fast immer eine schlechte Wendung.

Inwieweit formt die Gesellschaft mit ihrem Hang zu vermeintlich perfekten Menschen diese Geschichten mit?

Psychopathie und Narzissmus sind in Mode und werden (leider) gesellschaftlich oft belohnt. Ich würde sogar behaupten, dass es heutzutage schwer ist, auf das Forbes-Cover zu kommen, wenn man keine überdurchschnittlichen Facetten der Psychopathie oder des Narzissmus besitzt.

Woran erkennt man einen Psychopathen?

Psychopathie ist ein Bündel von Eigenschaften, die in sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen auftreten können. Zu den Kernmerkmalen gehören ein flaches Gefühlsleben, keine Empathie, pathologisches Lügen und Gewissenlosigkeit. Häufig verbirgt sich dies aber durch eine fast perfekte, charmante Maskerade. In der Forschung wird gerne von der „Mask of Sanity“, also der Maske der Vernunft gesprochen.

Und das heißt für die Ausgangsfrage?

Menschen erkennen Psychopathen nicht auf den ersten Blick. Im Gegenteil: Die meisten werden zunächst einen spannenden, interessanten und aufmerksamen Gesprächspartner kennenlernen. Dass dieser Charme oberflächlich ist, merken Unternehmen oder Privatpersonen häufig erst an den nachträglichen Schäden.

Allerdings haben Psychopathen zwei Achillesfersen: Das ist das pathologische Lügen und das flache Gefühlsleben. Beides hinterlässt Spuren. Besonders das Lügen lässt sich durch Beobachtungen oder durch Nachforschungen belegen. Auch Wirtschaftskriminalität, hohe Fluktuation und Probleme mit Führungskräften sowie ein extrem gespaltenes Meinungsbild können Red Flags sein.

Ist ein Berufsfeld besonders mit Psychopathen kontaminiert?

Dazu gibt es eine Untersuchung vom britischen Prof. Kevin Dutton, die teilweise umstritten ist. Aus meiner bisherigen Arbeit halte ich es jedoch nicht für unrealistisch, dass CEOs und Anwälte zu Berufsgruppen mit überdurchschnittlichen Psychopathie-Werten zählen.

Spitz gefragt: Könnten Sie mit Ihrem Know-how über die Selbstdarstellung auf LinkedIn einen Psychopathen ausmachen?

Über LinkedIn erkennen Menschen bestenfalls Narzissmus, nicht aber Psychopathie. Selbstdarstellung, Likes, Influencer sein? Der unstillbare Durst nach Anerkennung? Das ist nicht typisch für Psychopathie, sondern für Narzissmus. Es gibt Überschneidungen zwischen diesen beiden Konstrukten, aber auch wichtige Unterschiede.

Was auffällt: Wir sprechen momentan explizit von Männern. Wie ist das Verhältnis von Psychopathinnen und Psychopathen?

Tatsächlich ist der Männeranteil etwas höher. Wobei: Der Grund für diese vermeintliche Tatsache könnte ein Messfehler sein, über den die Wissenschaft momentan diskutiert. Die Liste, mit der Psychopathie typischerweise erfasst wird, wurde anhand von männlichen Gefängnisinsassen entwickelt. Weibliche Gewalt unterscheidet sich jedoch von der maskulinen. Frauen manipulieren auch anders als Männer. Das heißt: Wir sind vielleicht nur schlechter darin, beim anderen Geschlecht Psychopathie zu erkennen. Der tatsächliche Anteil kann genauso hoch oder höher sein.

„Es gibt sehr spezielle Ausnahmen, in denen ein Mangel an Gefühlen und Empathie gut sein kann.“

Der Begriff Psychopathie ist, wen wundert es bei der Anzahl von Kriminalfällen, sehr negativ behaftet. Haben Psychopath*innen auch nützliche Eigenschaften?

Die Frage ist immer: positiv für wen? Psychopathinnen und Psychopathen selbst sehen kein Problem und spüren keinen Leidensdruck. Für das Umfeld in Unternehmen und Privatsphäre sind Manipulation und Empathielosigkeit jedoch keine Eigenschaften, die zu etwas Positivem führen. Es gibt sehr spezielle Ausnahmen, in denen ein Mangel an Gefühlen und Empathie gut sein kann. Psychopathinnen und Psychopathen sind zweifelsohne stressresistent und absolut fokussiert in Situationen, in denen andere in Panik verfallen. In welchen Berufen könnte das ein Vorteil sein? Bombenentschärferinnen, Neurochirurgen, Elitesoldaten, Spioninnen.

Ich kann mir vorstellen, dass Psychopath*innen sehr gut, weil mit weniger Skrupeln, verhandeln. Wie kann man seine eigenen Fähigkeiten mit dem Know-how aus dem Profiling verbessern?

In meinen Vorträgen und Seminaren bringe ich Menschen bei, wie sie die andere Seite lesen. Es geht dabei nicht nur um das Abwehren von negativen Folgen wie das Erkennen von Lügen und Psychopathie. Es geht darum, ganz normale Personen im Alltag und in Verhandlungen zu „lesen“. Ihre Motive zu decodieren. Dabei zeige ich meinen Zuschauerinnen und Zuschauern, wie man drei Ebenen analysiert. Das sind Körpersprache, Mimik und Verhalten.

Welche ist am wichtigsten?

Das Verhalten. Einfach formuliert: Die Apps auf dem Home-Bildschirm des Smartphones und deren Anordnung verrät mir mehr über Persönlichkeiten und Gewohnheiten als die Tatsache, dass der Fuß wackelt.

Konkreter zu Ihrer Expertise: Warum widmen Sie sich als Profiler mehr der Psychologie in wirtschaftlichen Kontexten?

Die cleveren Psychopathinnen und Psychopathen gehen in die Wirtschaft. Der Mythos eines „Dr. Hannibal Lecters“ ist eher eine Hollywood-Fiktion. Die faszinierendsten Gespräche führe ich übrigens mit Tätern im Bereich Wirtschafts- & Cyberkriminalität. Unternehmen können eine Menge aus diesen Unterhaltungen lernen. Zum Beispiel, wie sie sich schützen können.

Wenn man ständig in kriminelle Köpfe schaut: Wie sorgen Sie dafür, dass der eigene Kopf klar bleibt?

Nitzsche wird mit den Worten zitiert: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Da hat jede:r seine eigene Routine. Ich verrate meine: An Tagen, an denen dunkle Wolken mein Menschenbild trüben und ich den Glauben an das Gute im Menschen verliere, schaue ich jedes mal die Gold-WM-Kür im Eiskunstlauf von Aljona Savchenko und Bruno Massot in Pyeongchang 2018. Es ist in Bewegung übersetzte Poesie.

Warum sollten Unternehmen das andererseits auch tun: Auf das Psychologische achten?

Alles ist Psychologie und ohne Psychologie ist alles nichts. In Verhandlungen glauben wir häufig, dass es um den Preis geht. Vordergründig mag das so sein. Aber der Preis ist häufig nur ein Symbol, hinter dem tiefere Motive stehen. Das sind Werte für Respekt, Wertschätzung, Anerkennung der Lebensleistung oder Fairness. Das ist, worum es eigentlich geht.

Besonders in Vorstellungsgesprächen geht es um den ersten Eindruck und Vertrauen. Wie durchschauen Personalverantwortliche lügende Personen?

Eigentlich erkennt man nie Lügen, sondern nur Nervosität. Die Theorie ist: Wer lügt, wird nervös. Nervosität äußert sich in erkennbaren Signalen. Doch gibt es zwei Probleme:

Einige Personen (Psychopath*innen) zeigen beim Lügen keine Anzeichen von Nervosität.

Und es gibt tausend Gründe, warum jemand nervös werden kann, obwohl die Person nicht lügt. Das Handy hat vibriert. Der oder die Ex hat das Restaurant betreten. Ich habe einen Zoom Call vergessen oder muss dringend meinen Flug kriegen. 

Das Thema ist also komplex. Ich möchte aber einen Lifehack geben: Wer wissen will, ob jemand ehrlich ist, sollte nach einer Sache fragen, bei der die Antwort bereits bekannt ist. Das gilt auch für die Polizei. Wenn ich weiß, dass jemand an Tag X NICHT in München war, würde ich die Person nicht direkt damit konfrontieren. Sondern fragen: Wo waren Sie an Tag X? Ob die Person ehrlich ist, kommt dann raus.

Kandidatinnen und Kandidaten sollte ein Vorstellungsgespräch nicht wie eine Vernehmung vorkommen. Wie vernimmt man so, dass es sich nicht danach anfühlt?

Ganz simpel: offene Fragen stellen. „Erzählen Sie etwas über Ihr Praktikum“ ist besser als: „Wann war das Praktikum? Wo? Wie lange? Was haben Sie gelernt? Von wem? Warum?”

Generell: Wenn Personalerinnen und Personaler offene Fragen stellen, lernen sie etwas über die Prioritäten und Motive der gegenübersitzenden Person. Noch ein Lifehack: Wenn Menschen über ihre Kinder sprechen, sollte man genau zuhören. Was Eltern schätzen und loben, steht immer für bedeutsame Werte in ihrem Leben. Trump hat mal über seine Kinder gesagt: „They are very, very beautiful and very, very successful“.

Andersherum sollten auch Mitarbeitende erkennen, wenn Vorgesetzte psychopathisch veranlagt sind. Was würde Sie misstrauisch machen?

Bei Führungskräften bin ich immer skeptisch, wenn sie in guten Zeiten und bei Erfolgen 100 Prozent der Lorbeeren für sich einstreichen. Nach dem Motto: Seht her, das liegt an meiner Genialität! Wenn sie jedoch in schwierigen Zeiten oder bei Fehlern jegliche Verantwortung von sich weisen, sollte man genauer hinschauen. Auch wenn sich Menschen nicht entschuldigen können, ist das eine Red Flag.

„Ich denke, die Welt wäre ohne diese „sozialen Lügen“ nicht unbedingt besser.“

Der Begriff Notlüge ist nicht grundlos gebräuchlich. Wird in Krisenzeiten wie der aktuellen mehr gelogen?

Die meisten Flunkereien sind „white lies“, sogenannte prosoziale Lügen. Wir sagen eine Party nicht mit den Worten ab: „Ich habe keine Lust“. Lieber sagen wir, dass wir es leider zeitlich nicht schaffen. Das sind prosoziale Lügen, weil wir unser Gegenüber nicht kränken wollen. Ich denke, die Welt wäre ohne diese „sozialen Lügen“ nicht unbedingt besser.

Sie werben in Ihren Vorträgen damit, dass Unternehmen explizit von FBI, CIA und Polizei lernen können. Was sind die wichtigsten Learnings?

Menschen zu lesen, Lügen zu erkennen und zu überzeugen – das sind drei Skills, die nicht nur für Polizei und Geheimdienste wichtig sind, sondern auch für Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich empfehle vor einer wichtigen Verhandlung: Ein leeres Blatt nehmen und ein bis zwei Minuten über folgende zwei Fragen nachdenken: Warum steht dieser Mensch morgens auf? Was treibt ihn an? Das ist eine gut investierte Zeit.

Mark T. Hofmann ist Kriminal- & Geheimdienstanalyst („Profiler“) und Organisationspsychologe (M.A.). In inspirierenden Impuls-Vorträgen überträgt er Profiling-Ansätze auf den Geschäftsalltag. Sein Credo: Nur wer die Motive des Gegenübers versteht, kann wirklich überzeugen. Hofmann ist bekannt durch zahlreiche internationale TV- & Streamingformate (ARD, CNN, n-tv, RTL, Sat.1).

Als Keynote Speaker spricht er über Themen wie „Menschen lesen” und die „Psychologie der Cyberkriminalität”.

https://www.mark-thorben-hofmann.de/

Mark T. Hofmann – Organisationspsychologe und Kriminal- & Geheimdienstanalyst
Mark T. Hofmann
Organisationspsychologe und Kriminal- & Geheimdienstanalyst

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