Virtuelle Teams: Die Basis von Führung ist Vertrauen
Das flächendeckend praktizierte Homeoffice verschiebt die Koordinaten der Zusammenarbeit. Führungskräfte müssen virtuell führen. Wie das gelingt, verrät Management-Expertin Barbara Liebermeister im KRONGAARD Webinar.
Es ist stürmisch geworden in der deutschen Wirtschaft. Die Corona-Pandemie und der gesellschaftliche Lockdown fordern viele Unternehmen und Führungskräfte heraus. Abseits der finanziellen Fragen verschiebt das flächendeckend praktizierte Homeoffice die Koordinaten unserer Zusammenarbeit. Eine effiziente und motivierende Führungskultur war nie wichtiger – und jetzt muss sie in Unternehmen virtuell funktionieren. Doch wie kommunizieren und handeln wir in und nach diesen Zeiten, damit Teams im Homeoffice bestmöglich performen und der Zusammenhalt trotz der räumlichen Abgrenzungen wächst?
Auch wir von der KRONGAARD AG schickten vor etwa zwei Monaten über einhundert Kollegen ins Homeoffice. Aus unseren vier Büros in Hamburg, München, Frankfurt und Düsseldorf wurden 120 Niederlassungen im kleinstmöglichen Format. Was anfangs ungewohnt war, hat sich mittlerweile eingespielt. Unsere Kollegen, die mit über 1.500 Unternehmen aus der Wirtschaft und 20.000 Experten zusammenarbeiten, leisten aus der Ferne hervorragende Arbeit. Die digitale Kollaboration war für uns immer ein Thema – und nach der Pandemie wird das Homeoffice eine Alternative zum Büro bleiben. Das spannende Themenfeld „Virtuelle Führung von Teams” wird uns also dauerhaft begleiten. Die Leaderchip-Expertin Barbara Liebermeister teilt in unserem Webinar wichtige Insights und Grundlagen zu diesem Thema.
1. Nicht übersetzen. Hinterfragen.
„Wenn wir einen analogen Scheißprozess digitalisieren, dann bleibt er ein Scheißprozess.”
Ich bitte diese Wortwahl zu entschuldigen. Ich zitiere nur. Dieses Zitat stammt von Thorsten Dirks, einem Top-Manager, der bis Dezember 2016 als CEO die deutsche Holding der Telefonica führte. Seit einigen Jahren verantwortet Dirks die Fluggesellschaft Eurowings für die Lufthansa. Dieses Zitat zeigt ganz praktisch, dass es bei virtueller Führung nicht nur darum gehen darf, unsere bisherigen Prozesse in die digitale Welt zu übersetzen. Wir müssen unsere gesamte Kommunikation hinterfragen und gegebenenfalls optimieren.
2. Teams scheitern an persönlichen Konflikten
Studien kommen zu einem beachtlichen wie beängstigenden Ergebnis: Beinahe 70 Prozent der digitalen Teams scheitern. Und diese Misserfolge resultieren nicht aus einer mangelnden fachlichen Qualität der Mitarbeiter. Es sind persönliche Probleme und Konflikte, die uns am Erfolg hindern. Wir alle kennen das von uns selbst: Wenn wir zunächst eine negative persönliche Erfahrung machen, entwickeln wir eine generelle Abneigung zu einem Thema. Wer schlechte Homeoffice-Erfahrungen erlebt, wird dieser Arbeitsform nicht mehr offen gegenüberstehen.
3. Wir müssen Wertschätzung digital ausdrücken
Führungskräfte müssen für positive Stimmungen in den Teams sorgen. Erst vor Kurzem hörte ich von einem spanischen Unternehmen, das es schafft, Wertschätzung besonders kreativ auszudrücken. Die Firma, die Cloud-Lösungen für die Pharmabranche anbietet, sitzt in Barcelona. In Katalonien gibt es einen besonderen Feiertag: den Sant-Jordi-Tag. Die Menschen beschenken sich gegenseitig mit Rosen und Büchern. Weit über 800.000 Bücher werden um den Feiertag (23. April) in der autonomen Region verkauft.
Das besagte Unternehmen griff diesen emotionalen Trend auf und entwarf ein internes Wichtel-Programm. Die Mitarbeiter bekamen einen Kollegen oder eine Kollegin zugewiesen, dem sie eine Rose zeichnen oder eine Buchempfehlung schicken konnten. So drückte nicht nur das Unternehmen Wertschätzung für die Angestellten aus – die Beschäftigten taten dies auch untereinander.
4. Die psychologische Sicherheit ist der wichtigste Treiber für Erfolg
Google forschte lange nach dem Geheimnis, warum manche Teams im Unternehmen erfolgreicher arbeiten als andere. Wissenschaftler fanden in einer mehrjährigen Studie eine Lösung: die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter. Sie ist eine der wichtigsten Variablen auf dem Weg zum Erfolg – und gleichzeitig Bedingung dafür, dass aus projektbezogenen Arbeitsgruppen echte Teams werden. Die psychologische Sicherheit speist sich vor allem aus dem Wohlfühlen. Doch was braucht es dafür?
Vier Ansätze:
- Mitarbeiter müssen sich respektiert fühlen.
- Teammitglieder möchten Anerkennung spüren.
- Kollegen benötigen eine klar definierte Rolle, mit der sie sich identifizieren und committen können.
- Sie müssen in Meetings offen loben und kritisieren dürfen.
Was eine Führungskraft virtuell können muss!
1. Identität stiften.
Das wichtigste Meeting ist das Kick-off. Führungskräfte müssen zu Beginn alle Projektbeteiligten an einem Tisch versammeln und die Relevanz jedes einzelnen Teilnehmers deutlich hervorheben. Welche Talente und Stärken führen zu welcher Rolle – wenn das bereits zum Auftakt klar kommuniziert ist, fühlen sich alle Mitglieder respektiert und entsprechend wichtig. Außerdem müssen Kommunikationsregeln aufgestellt und eingehalten werden.
Symbole können bei der Identitätsbildung, also auf der Etappe von der Arbeitsgruppe zu einem Team, nachhaltig helfen. Wir kennen es von Schuluniformen in Großbritannien oder Trikots im Mannschaftssport. Eine gemeinsame Symbolik, und wenn es nur ein eigener Humor ist, stiftet Identität.
2. Isolation durchbrechen.
Die meisten Menschen mit Bürojobs sind es nicht gewöhnt, alleine zu arbeiten. Viele bekommen Probleme mit der ungewohnten Abschottung. Wer sich nicht mehr involviert fühlt, ist nicht nur räumlich isoliert, sondern auch gedanklich. Das Gefühl der Isolation schmälert die psychologische Sicherheit und mündet häufig in einem Leistungsabfall. Schlimmstenfalls kann es das sogenannte Cybermobbing begünstigen. Und: Die Allerwenigsten geben zu, dass sie sich isoliert fühlen. Niemand zeigt gerne Schwäche. Vor allem unter Leistungsdruck oder vor den Kollegen. Führungskräfte benötigen sensible Antennen, um diese Probleme aus der Distanz zu erkennen. Wir müssen aufmerksam nach Indizien spähen. Verändert sich das Kommunikationsverhalten, wird in E-Mails plötzlich weniger emotional, sondern rationaler kommuniziert? Braucht ein Kollege oder eine Kollegin länger für eine Antwort?
Hier ist ein Nachhaken zwingend erforderlich – und oft bleibt nur die Option eines sogenannten Medienbruchs. Mit einem persönlichen Gespräch per Telefon kann die vermeintliche Isolation aufgebrochen werden. Alleine der Rahmen der Kontaktierung (Tageszeit, Dauer) kommuniziert Nähe und Wertschätzung. Beides sind verlässliche Mittel gegen das Gefühl der Isolation.
Um diesen Medienbruch als Werkzeug nutzen zu können, verlangt es viel Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Wachsamkeit und Präsenz von einer Führungskraft. Außerdem wichtig: Meetings so moderieren, dass die Introvertierten ans Wort kommen – und so aktiv in die Gespräche integriert werden.
3. Distanzen überbrücken.
Distanz ist nicht immer eine Frage der Entfernung. Oft genug sorgt unsere Kommunikation für eine räumliche Trennung. Häufig entsteht Distanz aus der Wahl eines falschen Kommunikationskanals während eines falschen Zeitraums.
In digitalen Meetings stehen wir vor einem zusätzlichen Problem. Wir können wichtige Bestandteile der erfolgreichen Kommunikation wie Mimik und Gestik nicht richtig einsetzen. Wir können uns das mit einem einfachen Beispiel verdeutlichen. Wenn wir zuhause tolle Musik hören, mit der besten Anlage, die es gibt, werden wir es nicht schaffen, die Atmosphäre eines Livekonzerts zu erzeugen. Ähnlich läuft es in digitalen Konferenzen. Egal, wie wir uns mühen: Das, was wir sagen möchten, kommt beim Empfänger mitunter anders an als gewollt.
Es gibt Missverständnisse, und die können zu Vertrauensbrüchen führen. Wichtig ist daher, im Anschluss der Meetings die persönlichen Gespräche zu suchen – individuell am Telefon. Alleine mit einem Anruf drücken wir – wie bereits beim Thema der Isolation angesprochen – sehr viel Wertschätzung aus. Und wir gehen sicher, dass wir nicht falsch verstanden wurden. Wer virtuell führen will, muss mehr in die Vor- und Nachbereitung von Meetings investieren.
4. Tolerant sein.
Wir sind in den vergangenen Wochen toleranter im Umgang miteinander geworden. Meetings funktionieren nicht immer reibungslos, die Ton- und Bildqualität ist manchmal schlecht. Ein Kind läuft durch das Bild. Alles nicht tragisch. Im Gegenteil: In dieser Zeit zeigen wir mehr Persönlichkeit. Alles ist weniger perfekt. Und das kann extrem wertvoll sein.
5. Weisungen geben.
Digitale Meetings sind abhängig von Ordnung, Struktur und klaren Regeln. Diese müssen gemeinsam festgelegt und umgesetzt werden – idealerweise im Kick-off. Genauso wichtig: Führungskräfte müssen deutlich machen, warum sie jedes Teammitglied brauchen. “Wichtig zu sein” und “gebraucht zu werden” – diese Gefühle erzeugen ein hohes Commitment bei den Kollegen. Wer weiß, dass das eigene Können und Talent gefragt und bedeutend ist, nimmt Weisungen positiver an.
Der Schlüssel für virtuelle Führungsqualitäten: emotionale Intelligenz
Emotionale Intelligenz ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen virtuellen Führungskraft. Wenn wir emotional intelligent handeln, erzeugen wir Identität. Wir retten Menschen aus der Isolation. Bauen virtuelle Brücken über die Distanz. Sind tolerant. Und besitzen durch das Commitment der Kollegen die notwendige Weisungsbefugnis.
Doch vielen Führungskräften mangelt es an emotionaler Intelligenz. Das soll kein Vorwurf sein. Wir sind eben anders in unseren Berufen aufgewachsen. Wir haben gelernt, schnell und qualitativ hochwertig abzuarbeiten. Unseren Job zu erledigen. Eine Führungskraft mit hoher emotionaler Intelligenz ist jedoch als Moderator gefragt. Wir müssen Talente sichtbar machen und für das bestmögliche Endergebnis orchestrieren.
Emotionale Intelligenz bedeutet in diesen Zeiten, digitale Prozesse zu vermenschlichen. Wenn Führungskräfte Schwächen zeigen und eingestehen, erzeugen sie Augenhöhe, sind für Kollegen greifbar. Neben Disziplin und Transparenz ist auch diese Art der Fairness entscheidend. Für mich ist der Begriff Fairness im übertragenen Sinn ein Gleichnis: Ich zeige, was ich kann; und ich zeige genauso, was ich nicht kann. Wenn wir unseren Kollegen anhand unserer Schwächen erklären, warum sie unersetzlich für uns sind, dann generieren wir Commitment. Wenn wir unsere individuellen Handicaps preisgeben, wirkt das transparent und lässt das Vertrauen zwischen Entscheidern und ihren Mitarbeitern wachsen. Genau das ist die Basis für Führung.
Eine Führungskraft, die virtuell bestmöglich ein Team fördert und fordert, muss außerdem den Wandel vom kontrollorientierten zum ergebnisorientierten Handeln meistern. Es zählt nicht, wie etwas entsteht, sondern das, was am Ende tatsächlich rauskommt. Maßgeblich ist, dass wir rationale Ziele („mehr Umsatz”, zum Beispiel) emotionaler aufladen. Wir müssen eine Vision für Mitarbeiter entwerfen, mit der sich die Kollegen identifizieren können – dann verinnerlichen sie den Zweck ihrer Aufgabe.
Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren lag Nike wirtschaftlich hinter Adidas zurück.
Das, was als Ziel kommuniziert wurde, war aber nicht die nötige Umsatzsteigerung in Prozent. Sondern deutlich prägnanter und emotionaler: „Wir wollen Adidas überholen, besser und erfolgreicher sein.” Idealerweise geben Führungskräfte dieses emotionale Ziel nicht direkt vor, sondern influencen die Mitarbeiter dazu, die Unternehmensziele selbst leidenschaftlicher zu formulieren.
Wenn wir emotional intelligent handeln, unsere Teams mit Sensibilität beobachten und die Motivation positiv beeinflussen – dann werden wir auch virtuell erfolgreich führen.