Jannik Kroll
from Jannik Kroll
 
10.04.2024
 
8 Min.
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Frau Dr. Freudenberg, Sie sind langjährige Geschäftsführerin der Hacker School. Was steckt dahinter?

Die Hacker School ist eine gemeinnützige Organisation, mit der wir Kinder und Jugendliche für das Programmieren und andere Zukunftsfähigkeiten begeistern. Dabei unterstützen uns vor allem ehrenamtliche ITler*innen. Menschen, die für ein Thema brennen, können am besten Begeisterung transportieren. Mich faszinieren ITler*innen und ihre Arbeit immer wieder. Wie sie systematisch vorgehen und mit welcher Lust sie lernen. Genau das wollen wir den Kindern näherbringen.

Durch die Nachrichten ist »Hacker« ein negativ konnotierter Begriff. Wieso haben Sie sich für diesen Namen entschieden?

Wir wollen Kinder und Jugendliche erreichen. Die können den Begriff „Hacker“ nicht definieren, also weckt er Aufmerksamkeit. Lernen sie vielleicht etwas Illegales oder wie sie ihr liebstes Videospiel hacken?

Zudem denken wir den Begriff »Hack« anders. Viele assoziieren ihn nur mit IT-Sicherheit und kriminellen Zwecken. Dabei steht ein »Hack« auch für eine kreative Problemlösung. Wir wollen den Kindern in der Hacker School zeigen, dass sie mit Code die Welt verändern können. Und dass sie keine Angst vor Neuem haben müssen. Im Gegenteil: Wir wecken das Bewusstsein für Neugierde und Kreativität.

Es soll in diesem Gespräch um die Digitalisierung in Deutschland gehen. Was genau diese ominöse »Digitalisierung«  ist, verschwimmt jedoch immer mehr. Was verstehen Sie darunter?

Eine klare Definition dafür kann sogar ich nicht geben. Digitalisierung ist ein tolles Buzzword, aber auch ein riesiges Themenfeld. Für mich beinhaltet Digitalisierung die Akzeptanz von neuen Erkenntniswerten und die Offenheit gegenüber digitalen Prozessen.

Warum scheitern Projekte so oft an der fehlenden Offenheit?

Wir verschieben seit einigen Jahren immer mehr Dinge aus dem haptischen in den digitalen Raum. Der Wissensstand der Bürger*innen über beispielsweise Funk und Wellen ist aber noch immer besorgniserregend gering. Digitalisierung verlangt aber, dass sie sich mit neuen Prozessen auseinandersetzen.

Die Menschen probieren nichts aus. Stattdessen dominiert die Angst vor Fehlern.

Die Digitalisierung in Deutschland wird oft bemängelt und diskutiert. Aber wie schlimm ist es wirklich?

Es besorgt mich, wie wenig wir das Coding-Mindset verstanden haben. Es fehlt die Begeisterung für Neues. Die Menschen probieren nichts aus. Stattdessen dominiert die Angst vor Fehlern. Diese gehören aber zu jedem Lernprozess.

Ein weiteres Problem: Themen werden abgehakt, nicht zu Ende gedacht. Aus Schulen höre ich oft, dass die Digitalisierung vorangeht. Es gäbe ja WLAN und Glasfaserleitungen. Die liegen aber oft nur bis zum Haus und innerhalb des Schulgebäudes herrscht gewohnt schlechte Qualität. Es ist befremdlich, welche Entschuldigungen wir nutzen, um nicht gut sein zu müssen.

Oft wird der staatliche Apparat besonders barsch in die Pflicht genommen. Doch wie stehen aus Ihrer Sicht die meisten Unternehmen dar – wirklich so viel besser?

Ein schwieriger Vergleich, weil es extrem unterschiedliche Welten sind. Was ich beobachte: Sowohl in der Politik als auch bei den Unternehmen öffnet sich die Schere immer weiter. Also zwischen denen, die digital denken, und jenen, die das nicht tun.

Dazwischen liegt der starke deutsche Mittelstand. Aber selbst dort sind eine sinnvolle Digitalisierung und der Einsatz von KI und bei weitem nicht so fortgeschritten, wie wir es für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bräuchten.

Das Ziel sollte sein, eine sinnvolle Zukunft für die Kinder zu gestalten und nicht zu kontrollieren, ob jedes Kind zehn Adverbialsätze bilden kann.

Woran mangelt es besonders im öffentlichen Sektor, der noch immer eine bürokratische Wulst verursacht?

Die German Angst vor Fehlern bestimmt und hemmt das Denken der Menschen. Sie probieren nichts aus, sondern sichern sich lieber fünfmal ab. Vorhandene Budgets werden zu großen Teilen für Beratungen und Konzeptionierungen verpulvert. Für die Umsetzung fehlt am Ende das Geld. Ähnlich ist es im Bildungssektor. Das Ziel sollte sein, eine sinnvolle Zukunft für die Kinder zu gestalten und nicht zu kontrollieren, ob jedes Kind zehn Adverbialsätze bilden kann.

Damit Probleme bekämpft werden können, müssen Organisationen nicht nur die Symptome, sondern die Ursachen der schleppenden Digitalisierung bekämpfen. Woran liegt es, dass Deutschland im internationalen Vergleich eher langsam vorankommt?

Die Schule wird durch die kürzeren Innovationszyklen stark herausgefordert. Wir müssen die Kinder trotzdem bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten. Und das gelingt, wenn wir sie in der Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen schulen. Sie verstehen lernen. Und dafür sind die besten Expert*innen gerade gut genug.

Und unabhängig von der Schule?

In Deutschland kombinieren wir eine hohe Anspruchshaltung mit einem unglaublichen Phlegmatismus. Wir hatten nie ein Erkenntnisproblem, dafür aber ein umso größeres Umsetzungsproblem. Wir sind zu träge!

Wo und wie setzen Sie mit der Hacker School bei diesen ursächlichen Problemen an?

Wir haben zu wenig Fachkräfte, und um die wird erbittert konkurriert. Wenn wir den Teich an Talenten nicht vergrößern, wird das gegenseitige Abwerben immer weitergehen. Wir als Hacker School wollen uns dieser Herausforderung widmen, indem wir Menschen für IT begeistern, die bis dato nicht erreicht wurden. Doch mehr Kinder aus benachteiligten Familien und grundsätzlich mehr Frauen wird es in der IT nur geben, wenn Firmen Initiativen wie die Hacker School unterstützen. Sie müssen selbst aktiv werden und über Investments in neue Talente die Zukunft gestalten. Das ist längst überfällig.

Wo wir beim Thema Schule waren: Das deutsche Bildungssystem stand erst neulich wieder in der Kritik. Die Pisa-Ergebnisse waren, glaubt man Medien, alles andere als gut. Wie viel digitalen Nachholbedarf haben deutsche Schulen?

Einen sehr großen. Das beginnt mit der WLAN-Abdeckung oder Tablets für die Schüler*innen. Zudem müssen die Schulen ihren Lehrkräften den Zugang zu digitalen Möglichkeiten erleichtern. Am Ende sind die Einrichtungen aber auch nur ein einzelner Baustein. Eltern müssen den Lernwillen ihrer Kinder genauso wecken und vorleben, dass man offen für Veränderung sein muss. Das darf nicht allein in der Verantwortung der Schulen liegen.

65 Prozent der heutigen Grundschulkinder werden in Berufen arbeiten, die wir noch gar nicht kennen.

Mit der Hacker School beziehen Sie Kinder ein, die digitale Bildung bislang kaum erreicht. Was bringt das am Ende wirklich

Selbst wenn sie später nicht im IT-Bereich arbeiten wollen, lernen sie durch die Hacker School kreatives und kritisches Denken, vor allem Kommunikation. Das sind alles wichtige Fähigkeiten für ein erfolgreiches Berufsleben.

Reines Fachwissen müssen wir übrigens nicht vermitteln. 65 Prozent der heutigen Grundschulkinder werden in Berufen arbeiten, die wir noch gar nicht kennen. Wir bereiten sie auf die Grundlagen der neuen Welt vor. Zeigen, was Daten sind. Wie sie Algorithmen erkennen. Und natürlich auch, wie sie aus Bubbles ausbrechen und über den Tellerrand schauen können. Das alles sind Fähigkeiten, die sie im Beruf weiterbringen und mit denen sie einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können.

Wo sehen Sie die größten Hebel, damit Deutschland dynamischer bei der Digitalisierung vorankommt?

Die Ausbildung der Kinder ist ein sehr machtvoller Hebel. Genau wie das Thema »mehr Frauen in digitalen Berufen«. Für viele junge Mädchen sind noch immer die eigenen Mütter der Maßstab für die eigene berufliche Entwicklung. Viele Frauen sind sich der Perspektive, die sie in IT-Berufen finden können, gar nicht bewusst.

Gleichzeitig müssen wir das langfristige Denken populär machen. Viele von uns arbeiten nur für Monats- und Quartalsberichte. Es geht um schnelle Ergebnisse. Für mich ist dieses kurzfristige Denken bei einem Langzeit-Thema wie der Digitalisierung nicht zielführend.

Was macht Ihnen Mut, dass die angesprochenen Hebel von den Verantwortlichen auch ergriffen werden?

Zu sehen, wie etwas Kleines wie unsere Hacker School wächst. Städte wie Hamburg fördern Allianzen für Social Entrepreneurships. Immer mehr Menschen erkennen, dass sich nichts bessert, wenn sie untätig sind. Das zeigte sich bemerkenswert bei den Demonstrationen im Nachgang der Correctiv-Recherche zum Treffen der Rechtsextremen. Wir sind zwar immer noch bequem, aber haben verstanden, dass wir für wichtige Dinge einstehen müssen.

Ich sage: Nicht die KI nimmt jemandem den Job weg, sondern ein Mensch, der die KI bedienen kann.

Eine zusätzliche Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Wie sehr hemmt er die Digitalisierung?

Er ist ein erheblicher Faktor. Aus diversen Unternehmensumfragen weiß ich, dass der Fachkräftemangel neben der Cyber-Security als größte Bedrohung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gesehen wird. Auch dieses Problem lässt sich nur gemeinsam lösen. Und dabei dürfen wir nicht den Fehler machen, dass wir vor allem einige wenige Fachkräfte weiter spezialisieren. Wir müssen die gesamte Arbeitswelt ansprechen. Das beginnt mit dem richtigen Prompten bei ChatGPT. Ich sage: Nicht die KI nimmt jemandem den Job weg, sondern ein Mensch, der die KI bedienen kann.

Viele Unternehmen setzen auf digitale Expertise von außen, auf Selbstständige. Wie wichtig werden diese digitalen »Fitmacher« für die deutsche Wirtschaft sein?

Sie sind es jetzt schon. Disruptive Impulse, die kurzzeitig Aufmerksamkeit schaffen, reichen eben nicht. Es braucht auch Umsetzung. Und die hängt von den Menschen mit Fachexpertise ab. Die nachhaken, auch dann, wenn es unangenehm wird.

Auf welchen Positionen in Unternehmen werden diese Expertisen am dringendsten gebraucht?

In der deutschen Wirtschaft ist das Mittelmanagement essenziell. Die Entscheider*innen in den höchsten Führungsetagen sind sich der Herausforderungen oft bewusst. Die Umsetzung obliegt aber dem Mittelmanagement. Da existieren in Deutschland noch Schwächen.

KRONGAARD matcht Unternehmen mit Herausforderungen mit dem Know-how von selbständigen Köpfen. Wie wichtig ist es, dass es nicht nur digital denkende Fachkräfte gibt, sondern diese auch an die richtigen Aufgaben gelangen?

Es wäre eine riesige Ressourcenverschwendung, wenn wir Herausforderungen nicht denjenigen überlassen, die dafür brennen. Denn diese Köpfe versprechen die besten Ergebnisse.

Welche Fähigkeiten sollten Menschen, die Digitalisierung treiben können und wollen, unbedingt mitbringen?

Begeisterung, Neugierde und ehrliches Interesse an den Menschen. Bei uns ist es so: Wer Kinder für die digitale Welt begeistern will, sollte nicht den allwissenden Hampelmann mimen. Er muss ihnen auf Augenhöhe begegnen.

Ist die schleppende Digitalisierung also auch ein pädagogisches Problem?

Definitiv. Vor der Corona-Pandemie ließ sich das noch ignorieren, obwohl die Erkenntnis bereits da war. Seitdem merken wir aber, dass die Digitalisierung auch durch pädagogische Probleme lahmt.

Was macht Ihnen in Deutschland Mut, dass das Jahrhundertprojekt Digitalisierung doch noch gelingen wird?

Dass die Menschen sich mittlerweile aufraffen und für Demokratie auf die Straße gehen. Wir müssen bedenken: Der Mensch hat eine bequeme Grundtendenz, er hält sich zurück. Nun erkennen wir hoffentlich auch in immer mehr Bereichen wie der Digitalisierung, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn wir uns für Neues öffnen, digitale Lösungen verstehen und durchdringen, kann die Digitalisierung gelingen.

Seit sieben Jahren ist Dr. Julia Freudenberg Geschäftsführerin der Hacker School. Gemeinsam mit einem engagierten Team treibt sie die digitale Bildung der Jugend voran und möchte bis 2030 eine Million Kinder mit ihrem Format erreichen. Dieses Engagement brachte ihr nicht nur mehrere Awards ein, sondern findet auch in der Politik immer mehr Anklang. Dr. Julia Freudenberg lebt in Hamburg.

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Dr. Julia Freudenberg
Expertin für CSR & Geschäftsführerin der Hacker School

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