Herr Kiefer, Sie begleiten und beraten Banken in hochkomplexen Prozessen. Sie konzipieren Lösungen, wenn die Institute neue regulatorische Anforderungen erfüllen müssen. Wie genau würden Sie ihren Job definieren?
Ich würde das nicht direkt in meine Personenbeschreibung stellen, aber ich sehe mich häufig in der Rolle eines Mediators. Ich vermittle in meiner Arbeit zwischen den Fachbereichen einer Bank.
Ein Mediator sollte die Sprachen beider Parteien sprechen.
Ich bin kein Programmierer. Aber in den vergangenen Jahren habe ich meine Erfahrungen mit beiden Seiten gemacht. Ich habe so erfahren, wo und wie mögliche Missverständnisse entstehen können, was den Parteien wichtig ist, was ihre Stärken und vielleicht auch ihre Schwächen sind. Erst wenn man diese Gefahren kennt, kann man sie umschiffen. Das Verstehen von verschiedenen Perspektiven ist die Grundlage meiner Arbeit.
Was sind das für Gefahren?
Die Fachbereiche sind sehr darauf bedacht, alles möglichst genau zu beschreiben. Keine Details sollen ausgespart werden, alles muss korrekt sein. Da geraten Konzepte und Arbeitspapiere zu komplexen Konstrukten – der Kern des Ganzen wird für Fachfremde nicht sofort deutlich. Die IT-Spezialisten bekommen zwar diese Informationen, können aber nur deuten, welche Anwendungen entstehen sollen. Ich muss dafür sorgen, dass die Abteilungen nicht aneinander vorbeireden. Sondern dass es Schnittstellen gibt. Die bin im Projekt bestenfalls ich.
Ich habe den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren die Kluft zwischen IT-Experten und “Nicht-IT-Experten” geschrumpft ist. Die Digitalisierung und Technisierung unseres Alltags sollte doch mehr und mehr Barrieren verschwinden lassen.
Das sehe ich ähnlich. Besonders in den Fachbereichen wächst das Verständnis für die Bedeutung und Komplexität der IT-Systeme. Unser alltäglicher Umgang mit moderner Technik sensibilisiert unser Bewusstsein für digitale Themen.
Wann sind Sie als Übersetzer gefragt, also in welchen Situationen brauchen Banken Ihre Hilfe?
Oft wenn neue Verordnungen, die sich die Gesetzgeber erdenken, für die Institute greifen. Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, genannt BilMoG, war so ein Fall. Wird eine Reform von dieser Tragweite vorangetrieben, müssen besonders Banken viele Prozesse anpassen, teilweise ganze IT-Systeme umstellen, damit die eigenen Bilanzierungsverfahren die Statuten der Aufsichtsbehörden erfüllen. Neben diesen nationalen Vorgaben müssen die Verantwortlichen zusätzlich europäisches Recht beachten.
Wie viel Vorlauf erfordern solche Projekte?
Wenn es Reformbestrebungen gibt, deuten sich deren Ziele früh an. Gut geführte Banken reagieren zeitig darauf, beschäftigen interne Bereiche oder holen sich freiberufliche Experten ins Haus. Es ist eine Sache von Monaten, manchmal von Jahren.
Wie laufen diese Projekte ab?
In der Regel müssen wir zwei Konzepte erdenken. Einmal ein Fachbereichskonzept, in dem wir mit den jeweiligen Abteilungen alle Auswirkungen und Anforderungen der neuen Regulatorik klären und planen. Und dann gilt es, ein Umsetzungskonzept für die IT- und Software-Spezialisten zu erstellen. Mittlerweile ist es so, dass viele Banken die ersten Schritte intern umsetzen und erst für den zweiten Part freiberufliche Experten engagieren.
Was ist der Vorteil von selbständigen Projektexperten?
Sie haben genügend gute wie schlechte Erfahrungen gemacht. Diese können sie für das Projekt gewinnbringend einsetzen. Dieses Wissen ist eine sehr wertvolle Ressource für die Unternehmen. Außerdem sollte ein Mediator und Übersetzer neutral sein, beide Seiten verstehen wollen. Das ist es einfacher, wenn man sich nicht in bestehende Strukturen und Hierarchien einordnen muss, sondern sich allein auf den Projekterfolg fokussieren darf. Das gibt einem auch eine gewisse und notwendige Autorität.
Der Agilitätsexperte Udo Oelmann schrieb in einem Beitrag für das Content Hub, wie wichtig es sei, Projekte auf Sicht zu planen. Er bemühte das Bild von einem Pkw im Morgennebel.
Ich kann mich an frühere Projekte erinnern, die so groß waren, dass es irgendwann unmöglich wurde, alle Fäden zusammenzuhalten. Mittlerweile werden Vorhaben anders gesteuert. Es gibt kleinere Etappen, dichter getaktete Abstimmungen.
Wie lange bleibt ein Konzeptionist im Projekt aktiv involviert?
Die Projektbegleitung erfolgt bestenfalls ganzheitlich. Besonders bei hochkomplexen Herausforderungen müssen Konzepte immer wieder optimiert werden, wir müssen Erkenntnisse, die wir erst während der Umsetzung gewinnen können, in unsere Grundüberlegungen integrieren. Das erfordert eine permanente Begleitung in der Umsetzungsphase. Bei einem meiner Kunden wird dieses Jahr der erste Jahresabschluss auf Basis unserer Projektergebnisse erstellt. Begonnen haben wir das Projekt vor über 24 Monaten.
Das Wort "komplex" fiel jetzt sehr häufig. Wird unsere Welt komplexer oder durch die technischen Errungenschaften einfacher?
Beides stimmt. Sie wird komplexer, im Alltag aber auch einfacher. Das Problem ist: Die Geschwindigkeit des “Komplexerwerdens” ist deutlich höher als die des technischen Fortschritts. Die Welt verzweigt sich immer weiter, jeden Tag gibt es mehr Daten. Wir müssen bei Entscheidungen mehr Details und Eventualitäten berücksichtigen. Es mehren sich natürlich auch die technische Errungenschaften, die uns die Arbeit erleichtern. Aber dieser Fortschritt entwickelt sich nicht so rasch wie die andere Seite. Das ist ein Problem.
Liegt es daran, dass Innovationstreiber vorsichtiger werden, weil durch die Komplexität die Fehleranfälligkeit steigt und gleichzeitig die Kommunikationswege so gewachsen sind, dass sich Nachrichten über Fehler und Versäumnisse medial schneller verbreiten?
Tatsächlich fehlt uns manchmal der Mut. Wobei ein hohes Maß an Vorsicht ebenso angebracht ist wie das “Mutigsein”. Es gibt Beispiele, die eben zeigen, dass Mut nicht immer belohnt wird. Eine Bank wollte in jüngerer Vergangenheit sein ganzes Banksystem umstellen und beispielsweise den Software-Anbieter wechseln. Das hat nicht reibungslos funktioniert, im Gegenteil: Es entstand großer Schaden. Der sich durch die mediale Verbreitung weiter vergrößerte. Das macht es für viele Unternehmen so schwierig. Es müssen Weiterentwicklungen stattfinden, den Innovationsdruck gibt es schließlich unweigerlich. Parallel zum wachsenden Druck steigt aber die Anzahl möglicher Fehlerquellen. Das wiederum erschwert und verzögert somit die Entscheidungsfindung. Ein Dilemma. Und die Komplexität wächst unbeirrt weiter. Da hilft es nur, das maximale Know-how zu bündeln.
Ihr Know-how könnten Sie doch auch als Festangestellter einbringen.
Meine Freiberuflichkeit hilft mir der Ausübung meiner Beratungstätigkeit immens. Ich kann mich auf Projekte konzentrieren, muss nicht tausend Themen zugleich jonglieren. Das macht es überhaupt möglich, komplexe Zusammenhänge zu entwirren und zwischen den Abteilungen in einem Unternehmen zu übersetzen. Als fester Mitarbeiter würden mir und dem Kunden diese Beinfreiheit sehr fehlen. Ich trage zwar ein unternehmerisches Risiko. Dafür habe ich die Freiheit, mir Projekte auszusuchen. Und so kann ich garantieren, dass ich den Herausforderungen auch gewachsen bin.
Das führt uns zur letzten Frage: Wie entscheiden Sie, welche Projekte Sie annehmen und welche nicht?
Es kommt auf das Interesse an der Aufgabe an. Das muss da sein. Wenn es für den Experten nur ein Job ist, keine eigene Motivation dahintersteckt, profitiert am Ende niemand davon. Mich interessieren diese hochkomplexen Aufgaben sowohl in der ersten Konzeptphase wie auch später in der direkten Umsetzung. Der Auftraggeber ist ebenso wichtig. Für Unternehmen, die einem in der Vergangenheit vertraut haben, arbeite ich gerne wieder.